Rezensionen: MAZ, Potsdamer Neueste Nachrichten
Märkische Allgemeine, 24.03.2018
Eine Oper verwandelt einen Stadtteil
Was zählt, ist nicht der Glaube an unterschiedliche Götter oder ein Kampf gegeneinander. Was zählt, ist Toleranz, Freundschaft und Gemeinschaft. In Drewitz haben Grundschule, Kammerakademie Potsdam und Begegnungsstätte ein bemerkenswertes Projekt initiiert, das in einer Oper als Höhepunkt mündete und nun in den Plattenbau-Kiez nachhaltig strahlt.
Stadtteil macht Oper: Bariton Jörg Gottschick, Regisseurin Theresa von Halle und Violinist Matthias Leupold nach der letzten Vorstellung. Quelle: Christin Iffert
Das, was zählt, ist nicht der Glaube an verschiedene Götter. Nicht der Kampf gegeneinander. Das, was zählt, ist Freundschaft und Gemeinschaft. „Ich wünsche mir Frieden auf der Welt“, sagt ein Mädchen in der Aufführung von Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Elias“. Gemeinsam mit Musikern der Kammerakademie Potsdam, der Begegnungsstätte Oskar und Lehrern der Stadtteilschule Drewitz haben 380 Kinder unter der Regie von Theresa von Halle eine eigene Interpretation des Stücks im Projekt „Stadtteil macht Oper“ geschaffen. Pointiert aufs Thema Wasser.
Es geht um rivalisierende Gangs mit differenten Glaubensrichtungen, die sich bekämpfen und annehmen, sie würden austrocknen, weil die jeweils anderen falschen Göttern huldigen. „Wie lange kämpft ihr schon? Immer. Wer gewinnt? Keiner.“ Bis zur Katharsis und der Eingebung, dass man gemeinsam mehr bewirken kann, verzeihen und tolerant sein muss.
In der Lebenswirklichkeit des Stadtteils
Plötzlich sind die Zuschauer mittendrin in der Lebenswirklichkeit eines Stadtteils, in den viel Geld und Kraft gesteckt wurde. Einem, der Menschen verschiedener Nationalitäten vereint. Einem, in dem die Hälfte der Kinder mit nur einem Elternteil aufwächst und viele Menschen mehrere Jobs haben, um das Leben zu meistern, wie Oskar-Leiter Tim Spotowitz sagt.
Sopranistin Alessia Schumacher (l.) und Regisseurin Theresa von Halle haben das Projekt mitgeformt.Quelle: Christin Iffert
Die Stimme von Theresa von Halle zittert, als der letzte durch die zum Opernsaal umdekorierte Turnhalle schallende Applaus nach der finalen „Elias“-Aufführung am Freitag verstummt. Ein Jahr intensiver Arbeit liegt hinter der jungen Regisseurin. Ein Jahr voller Inspirationen, Entwicklungsprozesse, Anstrengungen. Schüler und Bürger des Stadtteils haben an dem Konzept seit März 2017 gearbeitet – auf Augenhöhe. Gut 450 Menschen waren beteiligt. „Es war eine einzige Toleranzübung an sich selbst“, so die 34-Jährige. In den vergangenen Monaten hat sie mit den Schülern jeden Tag gearbeitet. „Man wird berührt, geschockt, überrascht – alles kommt zusammen und fügt sich zu einem Bild“, sagt sie.
Die Strahlkraft bleibt und schafft Toleranz untereinander
Nun ist sie fort, die Anspannung. Und die Regisseurin, die für ein neues Projekt nach Korea geht. Aber die Strahlkraft bleibt.„Es ist zu merken, wie die Arbeit im ganzen Stadtteil wirkt“, sagt Kulturmanager Tim Spotowitz. Gleich, wie unterschiedlich die Eltern seien: Sie vereint, ein Kind an der Grundschule in Drewitz zu haben. Mit der Oper habe man einen Raum eröffnet, in dem Toleranz gelernt werden könne. Auf der Bühne war egal, welche Hautfarbe ein Kind hatte, welche Sprache es sprach.
Dieses Toleranzempfinden und Glücksgefühl tragen die Kinder nach Hause, ergänzt Schulleiterin Elvira Eichelbaum. Kinder aus 17 verschiedenen Nationen besuchen die Schule. Durch die kontinuierlichen, gemeinschaftlichen Arbeiten am Oratorium habe sich unter den Kindern aller Klassenstufen etwas verändert. „Kinder kämpfen täglich um Aufmerksamkeit, die bekamen sie – auch von anderen Schülern. Es ging nicht mehr um Streitigkeiten, sondern darum, wie man zusammenarbeiten, was man verbessern kann“, sagt die Pädagogin. Es gibt sie weniger, die Gruppen auf dem Schulhof. Berührungsängste sind abgebaut worden.Das Projekt wissenschaftlich greifbar machen
Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), Schirmherr des Projekts, outete sich am Donnerstag noch als anfänglicher Skeptiker. Die Schule schien ein Fass ohne Boden zu sein, sagte er. Doch die Ergebnisse seien überzeugend. „Wir müssen viel kreativer sein und damit versuchen, an die Menschen heranzutreten“, sagte er. „Stadtteil macht Oper“ habe viel Potenzial, das man nun vor allem auch wissenschaftlich greifbar machen müsse.
Von Christin Iffert
Tagesspiegel. Potsdamer Neue Nachrichten, 24.03.2018
Die Grundschule in Drewitz hat gemeinsam mit der Kammerakademie Potsdam einen „Elias“ erarbeitet
Es wird drei Jahre nicht mehr regnen. Die Felder vertrocknen und die Menschen leiden Hunger und Durst. Elias, von Gott gesandt, verkündet diese Botschaft seinen Zeitgenossen. Sie fragen sich: Ohne Wasser ist Leben doch nicht möglich? Warum geschieht so etwas und gerade uns?
Die Schülerinnen und Schüler der Grundschule „Am Priesterweg“ in Potsdam-Drewitz haben sich mit dem Thema Dürre und ihren Auswirkungen szenisch auseinandergesetzt. Dafür nahmen sie das Oratorium „Elias“ von Felix Mendelssohn Bartholdy als Grundlage. Kein leichtes Unterfangen, denn die Titelfigur stammt aus dem Alten Testament, sie ist mehrere tausend Jahre alt.
„Elias“ ist bereits die vierte Ausgabe der Reihe „Stadtteil macht Oper“ – ein Projekt, in dem Schülerinnen und Schüler aus Drewitz gemeinsam mit Lehrern, professionellen Künstlern sowie Musikern der Kammerakademie Potsdam ein Musiktheaterstück auf die Beine stellen. Mit von der Partie sind auch Mitglieder vom Begegnungszentrum „Oskar“, die hinter der Bühne agieren. Grundlage für die Stadtteil-Opern sind die jährlichen Winteropern der Kammerakademie, wobei die Kinder und Lehrer aus den Vorlagen eigene Versionen entwickeln.
Für das Oratorium „Elias“ aus der Zeit der Romantik holten sie sich die Regisseurin Theresa von Halle, den Komponisten und Arrangeur Christoph Coburger, der teilweise die Mendelssohn’sche Partitur mit eigenen Noten zeitgerecht und für Kinder verständlich bearbeitete, sowie die Sopranistin Alessia Schumacher und den Bariton Jörg Gottschick mit ins Boot. Man spürte während der Aufführung am Donnerstagabend in der vollbesetzten Turnhalle der Priesterweg-Schule, dass sie die rund 380 Kinder der Grundschule bei der Entwicklung des Kunstwerkes Oper auf Augenhöhe begleiteten.
Alle Klassen waren seit einem Jahr daran beteiligt gewesen. Natürlich hatten sie auch ihre eigenen Vorstellungen von der uralten Geschichte des Propheten Elias, die in die Inszenierung Theresa von Halles einflossen. Die komplexe und nicht leicht durchschaubare alttestamentarische Geschichte hat die Regisseurin für die Priesterweg-Schulaufführung in ihrem Erzählstrang vereinfacht. Die Inszenierung konzentriert sich auf das Thema Wasser, das bei „Elias“ eine wichtige Bedeutung hat. Somit konnten die Schülerinnen und Schüler ihr Wissen um das lebensspendende Nass an die Zuschauer weitergeben. Sie begaben sich in die Wüste, wo Kakteen und Tiere für einige Zeit ohne Wasser auskommen, in ein Labor, in dem drei Professoren eine Regenwolke entwickeln. Das wurde mit viel Fantasie und Humor gespielt. Das fehlende Wasser führt aber auch zu bedrohlichen Situationen von Menschen untereinander, zu Konkurrenz und Eifersucht, hier zwischen Jugendgangs. Verschiedene Glaubensrichtungen sind zu kriegerischen Auseinandersetzungen bereit, und jede Gang führt diese im Namen ihres Gottes. Elias erlebt, welches Leid sie einander zufügen. „Es ist genug, Herr, so nimm denn meine Seele. Ich bin nicht besser als meine Väter“, singt Elias (Jörg Gottschick) reumütig. Auch die Frage nach dem richtigen Glauben wird gestellt. Sie geben sich eine Antwort, die plakativ wirken mag: Es ist egal, an welchen Gott wir glauben.
Was sich alle jungen Darsteller, die aus 17 Ländern stammen, wünschen, teilten sie ihren Zuschauern zum Finale mit: Frieden auf der Welt, einen respektvollen Umgang untereinander, jeder Mensch soll das Recht haben, seine Familie zu sehen. Und diese Wünsche wirkten nicht gestelzt. Sie kamen von Herzen. Mit ihren jeweils eigenen Temperamenten sangen und spielten die hochmotivierten Schülerinnen und Schüler unverkrampft, wobei sie am Erfinden von Szenen selbst aktiv beteiligt waren. Und Slapstick macht ihnen sowieso Spaß. Die Chorleiterinnen der Grundschule, Manuela Herrmann und Julia Stemkopf, hatten die Mitwirkenden tadellos vorbereitet und waren somit am Gelingen der insgesamt sechs Vorstellungen maßgeblich beteiligt. Die Mitglieder der Kammerakademie Potsdam bildeten im Hintergrund den Ruhepol und die musikalische Basis der Aufführung. Alle Mitwirkenden konnten sich auf sie wie immer verlassen.
In einem Gespräch im Anschluss an die Vorstellung brachte Schulleiterin Elvira Eichelbaum das Anliegen des Projektes auf den Punkt. Diese Operninszenierungen seien für die Kinder in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung enorm wichtig: Sie stärken das Selbstwertgefühl und fördern die Toleranz. Klaus Büstrin